Die Nordkette stand schon lange auf meinem Skigebietsplan; denn sie ist einfach ein Skigebiet der ganz besonderen Art: Direkt über der Großstadt Innsbruck liegt sie gleißend im Licht. Denn was die Innsbrucker Nordkette nennen, ist natürlich ein reiner Südhang mit imposanten Felszacken drüber und einem phänomenalen Blick auf die Stadt, die Stubaier und die Zillertaler Alpen.
Kann man da oben überhaupt skifahren? Von unten mag man es kaum glauben. Und droben vergisst dann mancher vor Begeisterung leicht das Sportliche. So einmalig ist der Blick: Wie Spielzeug liegt einem die Tiroler Landeshauptstadt zu Füßen. Gegenüber windet sich hinter der Sprungschanze am Bergisel die Autobahn den Brenner hinauf.
Aber zuerst gilt es natürlich, überhaupt hinzukommen. Dazu bieten sich dem Autofahrer zwei Möglichkeiten: Entweder er steuert ins Zentrum Innsbrucks und von dort mit der von Zaha Hadid designten Hungerburgbahn rauf zur Seegrubenbahn. Oder er fährt mit dem Auto direkt zur Seegrubenbahn. Obwohl uns die Designerbahn schon interessiert hätte und man unten im Parkhaus einen Sondertarif von 4 Euro bekommt, entschieden wir uns gegen die Hungerburgbahn – letztlich dauert es mit ihr insgesamt fast eine Stunde länger.
Wer vom Zirler Berg kommt wie wir, der braucht noch nicht mal ein Autobahn-Pickerl. Die Fahrt auf der Bundesstraße ist laut Google Maps gerade mal eine Minute länger als über die Autobahn. Allerdings sollte man Google Maps vielleicht nicht immer trauen. Uns schickte das Web-Navi quer durch das Innsbrucker Villenviertel am Südhang der Stadt mit teils abenteuerlich schmalen Straßen und auf der Rückreise gar in falscher Richtung in eine Einbahnstraße. Aber immerhin haben wir so einiges von den schicksten Eigenheimen Tirols gesehen.
Unter der Woche war der Parkplatz der Seegrubenbahn – mitten zwischen den Wohnhäusern – gut gefüllt. Am Wochenende dürfte es also voll werden da oben. Dafür ist das Ticket vergleichsweise günstig: 32 Euro sind heute ja ein Schnäppchen, wenn man einen Tag skifahren will. Und die Parkplatzgebühr wird auch noch übernommen.
Mit der schicken neuen Pendelbahn, die 2006 in den historischen Seilbahnhof integriert wurde, schweben wir hoch auf 1900 Meter zur Seegrube. Bei der Auffahrt schauen wir uns schon mal die Optionen an: Es gäbe eine Talabfahrt, die aber in der unteren Hälfte vollkommen aper und deshalb gesperrt ist. Und es gibt je eine Sesselbahn nach unten und nach oben vom Endpunkt der Gondel, wobei die nach oben eigentlich nur den Boarderpark und eine kurze blaue Piste erschließt. Und, ja, es gibt auch noch eine zweite Gondel hoch zum Hafelekar auf 2300 Meter.
Wir stellen uns natürlich gleich da hinauf an. Da kommt der Schaffner auf uns zu und redet uns ins Gewissen, die Abfahrt besser nicht jetzt und nicht mit unseren Pistenski zu probieren. Eine Inspektion des tatsächlich grimmig engen und gehörig steilen Einstieg ins das Kar direkt unter der Seilbahn ergibt denn auch: Die “Seilbahnrinne” genannte Skiroute ist als westseitiger Hang morgens noch stark vereist; weit und breit ist folglich kein Skifahrer zu sehen, der sich das antut. Eine zweite Rinne (die „Karrinne“) wäre wohl unproblematischer, aber der 200 Meter lange Weg dorthin über den Grat ist ebenfalls vereist. Wir fahren also mit der Bergbahn wieder ab.
Da unten bleibt ja immer noch die Seegruben-Sesselbahn. Und die bietet drei Abfahrten: die schwarz markierte „Kasermandl“-Direttissima neben dem Sessel, dann das als Skiroute markierte, aber präparierte „Lange Tal“ ganz links in der Verlängerung der Hafelekarroute und dazwischen eine rot markierte Abfahrt namens „Kurzes Tal“. Die erweist sich aber als eher unattraktive Ziehweg-Umfahrung der Kasermandl-Direttissima. Bei entsprechender Schneequalität gäbe es auch noch die Skiroute Osthang von oben gesehen ganz links, aber bei dem verharschten Schnee (seit zwei Wochen nur Sonne) war das nur Kampf – wir drehten nach wenigen Metern wieder um.
In der Praxis bleibt an so einem Tag also ein Skigebiet mit einem Lift und zwei Abfahrten von je 250 Höhenmetern. Aber trotzdem wurde es ein wunderbarer Tag. Zum einen, weil es eben doch zwei sehr schöne Abfahrten sind. Vor allem aber: Was für ein Panorama! Wann fährt man schon direkt auf die Hochhäuser einer Großstadt zu? Und vor einem glitzern Glungezer, Patscherkofel und Axamer Lizum um die Wette.
Das Brennertal mit der Europabrücke und links und rechts davon den gesamten Alpenhauptkamm besichtigt man dann aber noch besser vom Restaurant Seegrube aus. Im Schnee daneben hat die Bergbahn freundlicherweise kostenlose Liegestühle im Halbkreis aufgestellt. Und eine Open-Air-Bar namens Cloud 9 für die Aperol-Spritz-Fraktion gibt es dort auch.
Kein Wunder, dass wir eindeutig mehr Halbschuhtouristen als Skifahrer zählen. Darunter sind an unserem strahlend sonnigen Tag auffällig viele Amerikaner, Inder und Asiaten, die offenbar einmal im Leben das Hochgebirge aus der Nähe erleben wollen. Aber genauso sitzt da eine Familie aus der Stadt auf der Picknickdecke im Schnee, sie hat sich einen Picknickkorb mit Schampus und Fingerfood mitgebracht und genießt beides ganz entspannt, während die fünfjährige Tochter am Zauberteppich nebenan eifrig Stemmbögen übt. Und dann ist da noch die 80-jährige Innsbruckerin, die uns stolz erzählt, dass sie seit diesem Jahr gratis auf den Berg fahren darf und das in der Saison bereits 50-mal genutzt hat.
Sehen lassen sich all diese Besucher auf und neben der Terrasse des Seegrube-Restaurants. Das bemüht sich um ein zeitgeistiges Image, es wird gecatert von der Innsbrucker Firma DoN, die unter anderem auch die Vapianos in Österreich und das Schlosscafé Belvedere in Wien managt. Auf der Karte stehen unter anderem ein Skifahrerfrühstück mit Lachs und Prosecco in Kombi mit der Bergbahnauffahrt für 46 Euro und eine Luxus-Currywurst. Aber eine Speckknödelsuppe und ein Weißbier gibt es auch. Uns hat das gereicht.
Als wir gegen 15.30 Uhr unsere Ski zusammenpacken und wieder zu Tal fahren, sehen wir aus dem Augenwinkel dann doch, wonach wir den ganzen Tag geschaut hatten: Drei Skifahrer fahren die Seilbahnrinne, und einer von ihnen kommt sogar relativ gut durch. Es ist eben doch alles eine Frage des richtigen Zeitpunkts. Das machen wir dann also beim nächsten Mal.
(hwr)
https://nordkette.com/de/home.html, https://www.innsbruck.info, https://seegrube.at, https://www.karwendel.org/hafelekar/
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