Skifahren in Obertauern: Weiche Knie auf der Gamsleiten

Beim Blick auf die schwarze Piste rutscht mir das Herz ein wenig in die Hose. Die Gamsleitenabfahrt ist steil, sehr steil. Zwar sind die Zeiten vorbei, als die Pistenbullys einen großen Bogen um Obertauerns Prachtstück machten, doch wenn Horden schwungbegeisterter Brettelfans über eine der steilsten Abfahrten der Alpen getobt sind, hat sich der weiße Teppich in eine Buckelpiste verwandelt. Der eisig-kalte Wind, der mich auf der 2313 Meter hoch gelegenen Bergstation empfängt, trägt auch nicht zur Stimmungsaufhellung bei. Wer hier oben stürzt, der dürfte sich nach fulminanter Rutschpartie etliche Meter weiter unten wiederfinden, schießt es mir durch den Kopf.

Doch Bange machen gilt nicht, schließlich ist die Gamsleiten die Krönung des Skigebiets von Obertauern. Sozusagen die Streif oder die Kandahar eines Wintersportortes, der gleichsam aus dem Nichts entstand. Denn Obertauern am Übergang vom Pongau zum Lungau ist eher eine Hotelsiedlung denn ein gewachsener Ort. Bis in die 1960er Jahre hatte der Ort mit seinen 200 Einwohnern nicht einmal einen richtigen Namen, sondern war nur als Radstädter Tauern bekannt. Die Römer waren über die Passhöhe gezogen. Später wurde das Wirtshaus „Wiesenegg“ gebaut, wo Kaiser und Könige auf ihrem Weg nach Süden abstiegen und sich heute Gäste in Sauna und Bibliothek entspannen können. Obertauerns eigentliche Geburtsstunde schlug am 8. Dezember 1929: An jenem Tag wurde der fahrplanmäßige Winterverkehr über den Tauernpass von Radstadt nach Mauterndorf aufgenommen. Während die weniger begüterten Gäste zuvor auf Ski mit Fellen zur Passhöhe aufgestiegen waren, den Rucksack auf dem Rücken, ließ sich die Kundschaft nun mit einem Citroen-Raupenschlepper nach oben schaukeln. Schon bald wurden Hotels gebaut und Skischulen eröffnet. Heute zählt Obertauern, das verwaltungstechnisch zu Untertauern im Pongau und zu Tweng im Lungau zählt, zu den ersten Wintersportadressen des Salzburger Landes.

Dass dies so ist, hat der Ort auf den Tauern prominenten Namen und seiner besonderen Lage inmitten eines halben Dutzends steiler Gipfel zu verdanken. Wie Zacken einer Krone ragen über 2000 Meter hoch Seekar, Hundskogel, Gamsleiten und Zehnerkar in den Himmel. Wo Schneewolken aus dem Süden und dem Norden aufeinandertreffen, dauert die Wintersaison stolze sechs Monate. Hier werden regelmäßig Rekordmarken gemessen. Als die Österreichischen Hydrografischen Landesdienste die schneereichsten Orte der Alpenrepublik miteinander verglichen, landete Obertauern mit großem Abstand vorne. Mannshohe Schneeberge selbst auf dem Grund der Schneeschüssel sind keine Seltenheit.

Seinen Aufstieg in die Champions League der Wintersportorte verdankt Obertauern ausgerechnet vier Briten, allesamt talentfrei, wenn es ums Skifahren ging, aber mit Gesangeskunst gesegnet: den „Beatles“. Eigentlich hatte Regisseur Richard Lester die Schneeszenen für den Film „Help“ 1965 in Kitzbühel drehen wollen, doch weil es schon Mitte März war, wich die Crew kurzerhand auf das 1700 Meter hoch gelegene Schneeloch im Salzburger Land aus: eine Entscheidung, die dem kleinen Obertauern äußerst gelegen kam, weil es nach einem schweren Lawinenunglück mit 14 Toten wohlwollende Schlagzeilen gut gebrauchen konnte. John, Paul, George und Ringo wurden im fünften Stock des Hotels Edelweiss einquartiert, das Hotel Marietta wurde zum Filmstudio umfunktioniert und vier junge Skilehrer als Doubles für die Fab Four verpflichtet. Denn diese kernigen Burschen, alle um die 20 und der englischen Sprache mehr oder minder mächtig, waren im Gegensatz zu den Pilzköpfen quasi mit Ski an den Füßen geboren worden – eine wichtige Voraussetzung, um die Beatles in ihren actionreichen Verfolgungsjagden am Kirchbühellift zu doubeln. Einzig und allein John Lennon war zuvor die verschneiten Hügel im schottischen Hochland hinabgerutscht; doch selbst den Schneepflug hatte er verlernt, als es zum Dreh auf die Piste ging.

Eine rechte „Beatlemania“ scheint in Obertauern damals nicht ausgebrochen zu sein. Es blieb beim Rauschen im Blätterwald, wo sich Kulturbanausen über die Darbietungen dieser „ungeschorenen jungen Männer“ empörten und Mütter um die Unschuld ihrer jungfräulichen Töchter fürchteten. Die Sorge war überflüssig. Denn John, George und Ringo reisten mit Ehefrau oder Freundin an. Nur Paul McCartney war solo gekommen und schäkerte mit der Hotelierstochter Gloria Mackh, der amtierenden Miss Austria und Obertauerns ganzer Stolz. Die ausnehmend hübsche und sympathische Gigi war immer dabei, wenn die Filmcrew im Hotel Marietta feierte. „Ich habe wohl noch nie so viele leere Whiskyflaschen auf den Tischen gesehen wie damals. Zumeist geriet die feucht-fröhliche Gesellschaft bereits weit vor Mitternacht außer Rand und Band“, erinnerte sich Herbert Lürzer, der als Paul McCartney die Pisten hinunterwedeln durfte.

Der Film, den man mit etwas gutem Willen als Bond-Parodie betrachten kann, sei ein ziemlicher Schmarrn gewesen, bekannte der Hotelier vor einigen Jahren in einem Interview. Doch immerhin gab es für die Pistenblödelei mit Perücke und dunkler Kleidung ein ordentliches Salär: 700 Schilling pro Tag, das halbe Monatsgehalt eines Hilfslehrers. Lürzer steckte das Geld in seinen Familienbetrieb, der sich prächtig entwickelt hat. Die kleine Pension mit zunächst zwei Doppelzimmern – nebst angrenzendem Kuhstall – hat sich zu einem Imperium aus mehreren Hotels, Restaurants, Bars, einem Taxiunternehmen sowie Geschäften gemausert – darunter das Freudenhaus, das keineswegs ein Sündenpfuhl, sondern ein Ort ist, wo es alles gibt, was die skibegeisterte Familie daheim vergessen hat. Geradezu legendär ist die urige Lürzer Alm, wo Jungs und Mädels in normalen Zeiten zu jenen Rhythmen abrocken, auf die schon die Eltern abfuhren.

Obertauerns wichtigster Trumpf ist seine Lage im Kessel. „In Obertauern trägt man die Ski immer an den Füßen, nie auf der Schulter“, lautete einer der Werbeslogans des Ortes, und es handelt sich mitnichten um eine reißerische Botschaft. Wie Perlen an einer Schnur reihen sich die Hotels und Pensionen an der Passstraße auf, gleich dahinter türmen sich sonnenüberflutete Hänge auf, über die ein Netz aus Liften und Pisten gelegt wurde. Entsprechend kurz sind die Wege zum nächsten Lift. Zwar sind die Abfahrten nicht so lange wie in anderen österreichischen Wintersportorten – immerhin liegt das Ortszentrum auf 1740 Höhenmeter – doch dafür geht es wie im Karussell um das Dorf herum.

Egal welchen Einstieg der Brettfan wählt, irgendwann landet er automatisch auf der Tauernrunde. Mal geht es im Uhrzeigersinn um den Ort herum, mal gegen den Uhrzeigersinn. Die Lifte sind so feinsinnig verwoben, die Route so gut ausgeschildert, dass selbst Neulinge einen Heidenspaß haben. Echte Asse brauchen nicht mehr als eine Stunde, um Obertauern im Zick-Zack-Kurs zu umrunden. Für Kinder wurden eigens zwei Varianten des beliebten Kreisels ausgewiesen, für die das Ortsmaskottchen „Bobby“ Pate stand.
Morgens tummeln sich die Alpinjünger auf den sonnenbeschienenen Pisten zwischen Seekareck und Schnaidbergbahn, wo Insidern zufolge die heißesten Almen im gesamten Alpengebiet zu finden sind. Standfeste Buckelpistenfans lassen sich zur Gamsleitenspitze hochgondeln. Die gab ihren Namen her für die wohl verrückteste Schatzsuche der Alpen, das Gamsleiten-Kriterium, bei der Alt und Jung, bewaffnet mit kleinen Schaufeln, wie wild im Schnee buddeln. Am 23. April soll es wieder soweit sein.

Den Herren aus Liverpool dürfte es egal sein. Unbewegt stehen sie da, breitbeinig und mit ausgestreckten Armen, dem Plattencover von „Help!“ nachempfunden. Vier Meter hoch und eineinhalb Tonnen schwer ist das Denkmal in der Nähe des Kirchbühelliftes, das an die wohl schlagzeilenträchtigsten Wochen in Obertauerns Geschichte erinnern soll. In Österreichs Schneeloch sind John, Paul, George und Ringo nie wieder gekommen.

Roswitha Bruder-Pasewald

www.obertauern.com, https://www.salzburgerland.com/de/, https://www.ski-obertauern.at

Im Skigebiet von Obertauern. Foto: Roswitha Bruder
Die Dikt’n Alm im Skigebiet von Obertauern. Foto: Roswitha Bruder

Das Hotel Seekarhaus in Obertauern. Foto: Roswitha Bruder

Blick auf die Schneeschüsseln von Obertauern. Foto: Roswitha Bruder
Blick auf Obertauern. Foto: Roswitha Bruder

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